Ich ging auf die Bühne, stellte mich in die Mitte, nutzte eine Pause und wartete auf den Moment der Stille bis ich begann (Abschrift Tonmitschnitt):

“Guten Tag. Mein Name ist Sebastian Casu … und ich werde sterben. Und das zu wissen ist ein unglaublich komisches Gefühl. Zuerst ist es beängstigend und ich will es nicht wahr haben. Dann versuche ich es doch durch immer wiederkehrende Gedankenspiele irgendwie zu verhindern oder verdränge es einfach. Und schließlich, nach langer Auseinandersetzung, akzeptiere ich diese Tatsache und stelle mich wie heute auf die Bühne und sage es so wie es ist. Einfach so. Und doch mit beklemmendem Gefühl: “Mein Name ist Sebastian Casu…und ich werde sterben”.

Wenn ich so wie heute meine Vorträge zum Thema “Palliativ- und Intensivmedizin” oder “Möglichkeiten und Grenzen der Intensivmedizin” halte und die Worte “Sterben” oder “Tod” ausspreche, zieht sich bis heute mein Brustkorb ein wenig zusammen. Darüber zu sprechen ist für mich noch immer so eindrucksvoll, obwohl ich als Arzt insbesondere in meinen Fachgebieten beinahe jeden Tag mit Sterben und Tod zu tun habe. Und wenn wir uns darüber unterhalten, so wie jetzt und hier, dann ist mein Publikum auch immer betroffen. Eine ergreifende Stille ist im Raum. Vielleicht spürst du auch genau jetzt in diesem Moment genau dieses Gefühl…diese Stille…diese Schwere. Und vielleicht zieht sich genau jetzt auch dein Brustkorb ein wenig zusammen. So wie meiner es tut. Und wie sehr das Leben und der Tod miteinander verbunden sind, erkennen wir genau in solchen Momenten. Und deshalb binde ich das Leben in solchen Vorträgen wie heute immer ganz intensiv mit ein. Gedanken an meine Kinder. Meine Ziele. Meine Wünsche. Meine Hoffnungen. Und das ist so wichtig, denn “Sterbenszeit ist Lebenszeit”. Und wie wollen wir die Lebenszeit in der wir sterben sinnvoll verbringen, wenn wir eben genau in dieser Zeit nur über den Tod nachdenken und über den Tod sprechen, nicht aber über das Leben? Das Leben, so wie es war,…so wie es ist,…und auch so, wie es noch sein wird und was wir uns in dieser bleibenden Zeit noch wünschen?

Stell dir vor du weißt, dass du sterben wirst. Höre in dich hinein. Was macht dieser Gedanke mit dir? Woran denkst du? An wen denkst du? Was glaubst du machen diese Gedanken mit deinen Nächsten?

Mein Sohn, er ist sieben Jahre alt, versteht bereits, dass der Tod eine Endgültigkeit mit sich bringt. Er hat sich ganz intensiv damit auseinandergesetzt. Immer wieder. Schon als er noch in den Kindergarten ging. Sein Konzept ist, dass wir über den Tod hinaus zusammen bleiben sollen. Es spendet ihm wohl Trost. Es hilft ihm, mit den Gedanken des Verlusts umzugehen. Und so stellt er in unregelmäßigen Abständen durch sein Nachfragen sicher, dass wir mal in ein Familiengrab kommen werden. Er zaubert uns mit dieser Frage -so wie jetzt- immer ein Lächeln ins Gesicht, denn er fragt immer liebevoll, ob wir nach unserem Tod alle in eine “Familienkiste” kommen. Kindermund. Wunderbar. Und wenn wir darüber sprechen, dann erwächst in mir immer das intensive Gefühl, den kleinen Mann in den Arm nehmen- und ganz fest halten zu wollen. So stellen wir wohl gemeinsam genau in diesem Moment sicher, dass es jetzt und eben genau in diesem Moment keinen Verlust geben wird, sondern wir intensiv miteinander und füreinander da sind. Ja, so ist das wohl. Das ist es, was das Sterben und der Tod aus uns macht. Es bringt ein tiefes Lebensgefühl zum Vorschein. Wirklich tief. Weißt du, was ich meine? Kannst du es fühlen?

Und wenn du dieses Gefühl behältst, es in dir trägst, dich daran erinnern oder es wieder hervorrufen kannst, dann kannst du vielleicht in den so wichtigen und richtigen Momenten nachvollziehen, wie es deinen Patienten geht, wenn du sie und ihre Angehörige in Zeiten ihrer größten Not behandelst.

Nun, wann ich sterben werde, weiß ich nicht. Und ich bin nach meiner Kenntnis auch nicht krank. Aber die Auseinandersetzung mit der Endlichkeit meines Lebens hilft mir, ein wirklich wichtiges Gefühl zu entwickeln. Und mit diesem Gefühl, das ich genau jetzt auf der Bühne mit euch teile, möchte ich heute in meinem Vortrag über das Leben und den Tod auf Intensivstation sprechen.“

Ende des Mitschnitts.

Mit diesem Einstieg habe ich dir heute mal eine ganz andere Art gezeigt, wie ich manchmal in einen Vortrag starte. Ein intensiver Einstieg in einen intensiven Vortrag, der unglaublich viele Früchte trägt. Nicht nur für mein Publikum, sondern auch für mich. Jedes Mal.

Und weil du vielleicht gerade dieses Gefühl in dir hast und damit alles gesagt ist, endet hiermit dieser Blog.

Eine Inspiration und meine Empfehlung ist dieses Buch:

 

Auf das Leben,

Sebastian.