In der Vergangenheit kam ich mehr als ein Mal an den Punkt, an dem ich mir während meiner Vorbereitungen auf einen Vortrag oder Pitch eine sehr spezielle und für mich auch extrem beeindruckende Frage stellen musste: was mache ich, wenn mein Publikum fachlich viel besser ist als ich?

Ich schreibe diesen Blog nicht ganz ohne Schmerzen. Durch meinen persönlichen Ehrgeiz, mich Herausforderungen zu stellen und auch schwierige Vorträge anzunehmen, bin ich schon mehr als nur ein Mal so richtig auf die Nase gefallen. Aber, und das kann ich heute sagen, diese Erfahrungen haben mich mit der Zeit deutlich sicherer und stärker gemacht; vor allem vor Publikum.

Der Umgang mit dem beeindruckenden Gefühl vor Publikum zu stehen und zu spüren, wie mir der Vortrag Wort für Wort entgleitet und die Zuhörenden wahrscheinlich nur darauf warten, mich spätestens in der Fragerunde förmlich auseinanderzunehmen, ist heute beinahe unbezahlbar. Für mich persönlich gibt es offen gesprochen kaum etwas, was meinen Charakter in Sachen Durchhaltevermögen und Ertragen von professionellem Leid so direkt weiter gebracht hätte als solche Situationen.

In diesem Blog möchte ich dir mein Vorgehen schildern, wenn ich bereits in der Vorbereitungsphase davon ausgehe, dass die Zuhörenden zu den Inhalten mehr auf dem Kasten haben als ich.

 

Vor dem Vortrag:

Vor dem Vortrag verfolge ich drei Ansätze im Umgang mit der Tatsache, dass mein Publikum fachlich wahrscheinlich besser ist als ich:

  1. Den Pro-Aktiven Ansatz
  2. Konzept statt Geschwafel
  3. Nein, nein, nein, nein, nein

 

Lösung Nr. 1: Der Pro-Aktive Ansatz.

Hier stelle ich mir die folgenden drei Fragen:

Warum hat man mich überhaupt eingeladen?

Habe kann ich Spezielles zu diesem Thema beitragen?

Wie kann ich genau diesen speziellen Grund für mich instrumentalisieren, um aus dem Vortrag für die Teilnehmer ein einmaliges Erlebnis zu machen?

 

Erklärung:

In diesem Fall ist Lösung 1 nicht nur zufällig Lösung 1, sondern tatsächlich auch berechtigt der erste Gedankengang. Es macht Sinn, hier proaktiv vorzugehen, denn allzu häufig ist der erste Respekt vor dem Vortrag verflogen, wenn man sich mit den genannten drei „Kernfragen“ gute Antworten zurecht gelegt und klar gemacht hat, dass eigentlich alles halb so schlimm ist und die Anfrage für den Vortrag trotz aller erster Einwände berechtigt auf meinem Schreibtisch gelandet ist. Gleichzeitig können durch die Antworten dieser drei Fragen erste konzeptionelle Gedanken für den Vortrag erarbeitet werden. Hierzu gehört insbesondere auch die Überlegung, ob die Erwartungshaltung an mich tatsächlich ein Frontalvortrag oder doch eher eine Einleitung mit anschließend moderativem Ansatz ist, denn allzu häufig wird man nicht eingeladen, weil man inhaltlich schlichtweg die Kapazität auf Erden ist, sondern weil man in vorherigen Pitches und Vorträgen gezeigt hat, dass man es gut präsentieren und moderieren kann.

 

Lösung Nr. 2: Konzept statt Geschwafel

In diesem Fall konzentriere ich mich auf Konzeptionierung statt auf hochtrabende (Raketen-) Wissenschaft. Ich vermeide inhaltliche Angriffsfläche und konzentriere mich darauf wie ich mit den Inhalten konzeptionell umgehe.

Erklärung:

Ausgesprochen häufig geht es gar nicht nur um den „professionellen wissenschaftlichen Inhalt“ eines speziellen Themas. Vielmehr wurde ich schon ausgesprochen häufig als Speaker eingeladen, um die Art und Weise meines alltäglichen Umgangs mit Themen zu erklären. Sich inhaltlich, wissenschaftlich oder auch experimentell mit Themen auseinanderzusetzen ist nämlich noch einmal ein Himmel weiter unterschied zu den Fragestellungen, wie man die hier tangierenden Arbeitsbereiche strukturell und prozessual umsetzt und wirklich effektiv in den Alltag integriert. Und wenn mir klar ist, dass eben diese Umsetzung in diesem Fall mein Kerntalent ist und wahrscheinlich auch der Grund ist, weshalb man mich als Speaker eingeladen hat, dann nutze ich diese Chance und mache genau diese Punkte zu meinem Kernthema. So kann ich allzu tiefgründige Diskussionen nicht nur umgehen, sondern sie regelrecht zur „Nebensache“ machen.

Fazit: Entscheide für dich, ob du der Spezialist für die tatsächlichen Inhalte oder eben für den Umgang mit den eigentlichen Inhalten bist und verinnerliche: umso schwächer du in den Inhalten bist, desto mehr fokussiere dich auf Struktur und Prozess im Umgang mit dem thematischen Content und dessen Umsetzung im Alltag.

 

Lösung Nr. 3: Lerne NEIN zu sagen.

Wenn es gar nicht anders geht und mir die Entscheidung obliegt, dann habe ich heute auch den Mut, einfach nein zu sagen und den Vortrag abzulehnen.

Erklärung:

Dieser vermeintliche Lösungsansatz tut besonders weh. Allerdings muss ich nunmal auch in meine Gedanken einfließen lassen, dass der Auftraggeber sich schlicht und einfach in seiner Anfrage bei mir als Speaker vertan hat. Dies gilt insbesondere, wenn mein Eindruck ist, dass das Publikum aufgrund seiner (Fach-)Kompetenz oder Erwartungshaltung keinen Vorteil aus meinem Vortrag ziehen wird. In solchen Fällen, also wenn Lösung 1 und 2 tatsächlich nicht zielführend sind, ist es hilfreich, den Vortrag tatsächlich schlicht und einfach abzulehnen.

Ein ganz wichtiger Aspekt hierbei ist, authentisch und ehrlich zu bleiben. Ich halte es für wenig professionell und auch unnötig, sich in einem solchen Fall hinter Ausreden zu verstecken. Vielmehr melde ich frei heraus zurück, dass nach reiflicher Überlegung mein Eindruck ist, dass ich in diesem Fall nicht der Richtige bin. Gern schlage ich im selben Zug einen Kollegen vor, den ich eventuell für geeigneter halte. Diese Art der Vorgehensweise fühlt sich nicht nur besser an, sondern hinterlässt aus meiner Sicht auch einen deutlich professionelleren Eindruck als der verzweifelte Versuch, durch „Ausreden“ einen Grund zu finden, weshalb ich den Auftrag nicht annehmen kann.

Manche Kollegen sagen ohne Begründung oder mit dem Totschlagargument der Terminkollision ab und beenden für sich somit das Thema. Ich gehe so aus zwei Gründen nicht vor:

  1. Wenn es eine Ausrede ist, klingt es auch so und wird mir langfristig mehr schaden als nutzen.
  2. Wenn ich beispielsweise versuchen würde, mich mit der „Terminausrede“ zu retten, bestünde weiterhin die Gefahr, dass man eben terminliche Alternativvorschläge vorlegt…und spätestens ist wohl ein kleines Thema zu lösen…

 

Während des Vortrags:

Tja. Jetzt ist es soweit. Ob ich mir dessen im Vorhinein bewusst war oder nicht, jetzt bin ich mitten in der Präsentation und im Publikum sitzen auf einmal weltberühmte Speaker, die schon über 1000 Mal zu meinem heutigen Thema auf der Bühne standen. Vielleicht habe ich sogar einige Zitate von Ihnen vorbereitet oder ihre Studien in meinen Vortrag integriert. Jetzt gilt’s. Ein Publikum, dass mir zumindest durch Einzelpersonen inhaltlich deutlich überlegen ist und dennoch möchte ich einen bleibenden Eindruck hinterlassen, meine Kernbotschaft transportieren und einfach gut präsentieren. Aber geht das überhaupt? Und wenn ja: wie?

Nun, die wichtigste Regel hierbei ist die gleiche wie im Falle eines Hausbrandes: Ruhe bewahren! Nichts ist schrecklicher als in den Teufelskreis des schlechten Vortrags zu gelangen; eine Spirale, in der ein vermeintlich schlechter Vortrag zur Katastrophe wird, weil Vortragende während des Sprechens nur noch über den schlechten Vortrag und die Wirkung auf ihr Publikum nachdenken, anstatt sich einfach weiterhin auf die Inhalte und Botschaften zu konzentrieren und eben das beste daraus zu machen. Für weitere Details verweise ich auf BLOG 31, in dem ich zu genau zu diesem Thema deutlich ins Detail gehe.

 

Nach dem Vortrag:

Ja, es gibt auch einen Moment nach dem Vortrag und ich hoffe für dich, dass du die ersten Wochen oder gar Monate nicht damit verbringen musst, deine quälenden Wunden zu lecken. Und glaube mir: ich weiß, wie sich das anfühlt. Ich habe schon deutlich mehr als einen Vortrag vor die Wand gefahren und über Wochen daran genagt. Das gehört wohl dazu.

Dennoch: nach einem Vortrag oder Pitch, bei welchem dir klar geworden ist, dass dein Publikum wirklich inhaltlich deutlich besser war als du, ist die sofortige Nachbereitung enorm wichtig. Egal, wie es gelaufen ist. Gehe ins Detail. Was war gut? Wie konntest du inhaltlich einige Themen ansprechen, ohne ins Messer zu laufen? Wo lagen deine Stärken? Was war weniger gut oder sogar richtig schlecht? Welche Inhalte haben sprachlich oder auf Slides zu viel Angriffsfläche geboten oder sind sogar vollkommen nach hinten los gegangen? Wie kannst du diese Inhalte zukünftig besser formulieren, sodass dir dieses Dilemma nicht ein zweites Mal bevorsteht? Diese Aspekte solltest du noch am selben Tag, spätestens aber am Folgetag nacharbeiten. Nutze dein Gefühl, um die einzelnen Inhalte noch einmal genau aufzuarbeiten, um zukünftig noch ein wenig besser zu werden. Nutze die Chance. Mit diesem Konzept setzt du dich ein Stück weit auch wieder auf’s Pferd, nachdem du gestürzt bist…Flucht oder Vermeidungsverhalten ist keine Option!

Viele werden dir an dieser Stelle raten, genau dieses Gefühl erst einmal abklingen zu lassen, um dann rational an die Sache heranzugehen. Das halte ich allerdings in diesem speziellen Fall für einen ausgesprochen großen Fehler, denn genau dieses Gefühl ist es, das wieder kommen wird, wenn du das nächste Mal mit ähnlicher Problematik auf der Bühne stehst. Und weil du damit umgehen musst, nutzt es nichts, es erst abklingen zu lassen, denn das wird auch auf der Bühne wahrscheinlich nicht passieren. Nutze es für deine Aufarbeitung solang es noch frisch ist.

Die rationale Aufarbeitung kommt von allein, wenn du dich dann in Zukunft erneut der Herausforderung dieses Themas stellen willst und den Vortrag oder Pitch abermals adäquat vorbereitest.

 

Fazit:

Ja, ich weiß, es gibt Menschen, die sich mit der Frage dieses Blogs grundsätzlich niemals auseinandersetzen, weil sie davon ausgehen, dass sie selbstverständlich immer die besten sind, denn immerhin hat man sie ja als Speaker eingeladen… . Das halte ich nicht nur für einen großen Fehler, weil dies von fehlendem Selbstbild zeugt, sondern ich finde das sogar furchtbar, weil die Art von Speakern, die sich auf diese Art und Weise niemals hinterfragen, auch berechtigt ganz furchtbar bei ihrem Publikum ankommen…UND ZWAR IMMER!

Somit gehe ich nun erstmal davon aus, dass du dir diese differenzierte Frage regelmäßig stellst, weil du meinen Blog liest und bereit bist, dich durch die unterschiedlichsten Erfahrungen mit allen Aspekten auseinanderzusetzen.

Zusammengefasst gibt es drei Phasen, die für dich wichtig sind, wenn du einen Vortrag oder Pitch hältst und die Teilnehmenden offensichtlich inhaltlich mehr auf dem Kasten haben als du:

  1. Vor dem Vortrag solltest du dir deiner Stärken bewusst werden und diese schamlos ausnutzen. Mach dir bewusst, weshalb man genau dich eingeladen hat und biete deinem Publikum, was es sich erhofft. Frontalvortrag? Interaktion oder Moderation? Letztlich kannst du auch nein sagen, wenn es wirklich nach reiflicher Überlegung die richtige Entscheidung ist.
  2. Während des Vortrags die Ruhe zu bewahren stellt sicherlich die größte Herausforderung dar. Detaillierter gehe ich in BLOG 31 auf die wesentlichen Aspekte ein.
  3. Nach dem Vortrag ist es die große Kunst, nicht wegzulaufen oder einfach alles schön zu reden, sondern dich konkret mit den guten und schlechten Aspekten deines Vortrags auseinanderzusetzen. Konfrontiere dich frühzeitig mit den Inhalten und den „Soft Skills“, damit das Gefühl in dir noch erhalten ist, denn genau dieses Gefühl ist ergänzend zu den Tatsachen unbezahlbar für deine Weiterentwicklung auf der Bühne und die rationale Aufarbeitung erfolgt im Verlauf spätestens, wenn du dich auf einen neuen Vortrag zu diesem oder ähnlichen Themen vorbereitest.

Was waren bisher deine persönlichen Strategien im Umgang mit der Tatsache, dass deine Zuhörer wahrscheinlich mehr auf dem Kasten haben als du? Hast du Ergänzungen oder Kommentare zu diesem Blog? Ich freue mich auf deine Rückmeldung über die Sozialen Medien oder gern auf einfach via Mail.

Bis dahin,

Sebastian.