Die aktuellen Zahlen aus Italien mit der rasanten Zunahme an COVID-19 Fällen und dramatischen Sterblichkeitsraten lässt Fragen aufkommen. Warum trifft es gerade Italien so hart? Welche Umstände führten zu den derzeitigen Verhältnissen?
In der ersten Februarhälfte wurden nur drei positive COVID-19 Fälle in Italien dokumentiert und alle, die positiv getestet waren, wiesen eine passende Reiseanamnese auf und gaben an, zuvor im Risikogebiet in China gewesen zu sein. In der zweiten Februarhälfte wurden schließlich in Norditalien (Lombardei, Venetien und weitere Verbreitung) erste schwer verlaufende Lungenentzündungen in Verbindung mit einer SARS-CoV2 Infektion dokumentiert und innerhalb kürzester Zeit stiegen die Zahlen infizierter und teilweise schwer kranker Patienten an. Heute führt Italien die traurige Statistik der verstorbenen COVID-19 Patienten an und ausgesprochen dramatische Bilder erreichen uns täglich über die Medien.
Die dokumentierte Sterblichkeitsrate in Italien liegt derzeit zwischen ca. 7 – 9%* und ist damit deutlich höher als in China (2,3%). Zudem zeigt sich eine deutlich höhere Sterblichkeitsrate im Vergleich zu anderen europäischen Staaten, die hinsichtlich ihres medizinischen Versorgungssystems vergleichbar sind.
Aber wie kommt das zustande? Welche Gedankengänge können das derzeit beobachtete nachvollziehbar erklären?
Derzeit kann man wohl drei Hypothesen als Ursachen für diese hohe Sterblichkeitsrate in Italien zusammenfassen:
- Spät erkannt?
Aktuell muss davon ausgegangen werden, dass es bereits im Januar zunehmend viele unerkannte COVID-19 Fälle in Italien gab. Hierdurch war ein stilles Ausbreiten des SARS-CoV 2 begünstigt und erklärt auch den raschen Anstieg der dokumentierten Fälle im Februar. Da das Virus zu Beginn wohl unerkannt blieb, griffen die Maßnahmen der Isolation innerhalb von Klinik und in der allgemeinen Bevölkerung in Relation zu Ländern, die bessere Vorbereitungsmöglichkeiten hatten, relativ spät und konnten nicht mehr kompensiert werden.
- Demographie?
In Italien waren im Jahr 2019 insgesamt 23% der Bevölkerung älter als 65 Jahre. Hierbei handelt es sich um einen vergleichsweise hohen Anteil älterer Menschen, was sich auch im durchschnittlichen Alter der italienischen COVID-19 Patienten widerspiegelt**. Derzeit liegt das durchschnittliche Lebensalter der dokumentierten COVID-19 Fälle bei 63 Jahren, in Deutschland aktuell bei 42 Jahren. Da mit steigendem Lebensalter auch die Sterblichkeit steigt, hat dieser Aspekt wohl einen direkten Zusammenhang zur aktuellen Situation in Italien. Dies zeigt sich nicht zuletzt darin, dass bisher über 50% der an COVID-19 verstorbenen Patienten in Italien 80 Jahre oder älter waren.
- Überlastung des Systems!
Die ersten beiden Punkte begünstigen diesen aus meiner Sicht eindrücklichsten Effekt: die Überlastung des (Gesundheits-)Systems. Durch den rasanten Anstieg der COVID-19 Fälle mit hohem Anteil eines Risikoklientels wurden die zur Verfügungen stehenden (Intensiv-)Kapazitäten rasch überfordert. Dieses Missverhältnis an apparativen- und personellen Ressourcen zu Patientenzahl und Schwere der Erkrankung führte wahrscheinlich zu einem Kollaps, der die hohe Sterblichkeitsrate deutlich begünstigt haben dürfte und die dramatischen Folgen in der derzeitigen Intensivmedizin Italiens zumindest teilweise erklärt.
Sollten sich diese drei Aspekte im Nachhinein tatsächlich als richtig erweisen, bleibt als festzuhalten, dass die Strategie im Kampf gegen solche Epidemien ebenfalls aus drei Punkten bestehen sollte, die sich im derzeitigen Procedere weltweit auch mehr oder weniger wiederfindet und für Jedermann nachvollziehbar wird:
- Vermeidung von Kontakten, um den rasanten Anstieg infizierter Personen auf ein Minimum zu reduzieren und somit einer Überforderung der apparativen- und personellen Ressourcen vorzubeugen. Dies wird wohl bei einer Pandemie nicht die Gesamtzahl infizierter Patienten im Verlauf reduzieren, aber sehr wohl dafür Sorge tragen, dass nicht (zu) viele Patienten gleichzeitige infiziert werden und somit das Gesundheitssystem schwallartig an seine Grenzen bringen. #flattingthecurve.
- Frühzeitig gezielte und rationale Diagnostik, um potenzielle COVID-19 Patienten umgehend zu identifizieren, zu isolieren bzw. in Quarantäne zu bitten und Kontaktpersonen ebenfalls zu kontaktieren, um das weitere sinnvolle Vorgehen zu kommunizieren und somit eine Verbreitung zumindest zu verlangsamen.
- Vorbereitung im Gesundheitswesen durch:
- Schutz der kritischen Ressource Krankenhaus und weiterer hier tatsächlich systemrelevanter Einheiten und Institutionen durch klare Konzepte und Patientensteuerung.
- Akute Aufstockung der Intensiv- und Notfallmedizinischen Ressourcen; personell und apparativ, um dem akuten (saisonalen) Aufkommen vieler Patienten gleichzeitig gerecht zu werden.
- Stärkung neuer, innovativer Möglichkeiten der ärztlichen Konsultation wie beispielsweite Ausbau der Telemedizin.
Natürlich handelt es sich bei dieser Übersicht um einen Schuss aus der Hüfte. Das aktuelle Geschehen ist zu dynamisch, als dass man derzeit mit Sicherheit sagen könnte, dass eine Analyse auf jeden Fall treffend ist. Die Zeit wird zeigen, ob erste Gedanken an dieser Stelle richtig waren…oder nicht.
Abschließend muss ergänzt sein, dass wir mit diesen Sterblichkeitsraten vielleicht auch nur einen Geist jagen. Ginge man davon aus, dass viel mehr der italienischen Bevölkerung UNERKANNT INFIZIERT sind, relativiert das natürlich die Sterblichkeitsrate, da diese durch Anzahl der Todesfälle in Relation zur Anzahl der Infizierten definiert ist. Inwiefern dieser Aspekt zutreffend ist -und vor allem für Italien mehr zutrifft als für die anderen Länder- wird sich allenfalls in den nachfolgenden Jahren der Aufarbeitung nachvollziehen lassen.
Vielleicht hast du Ergänzungen, Fragen oder Anmerkungen zu diesem Beitrag? Dann freue ich mich über deinen Kontakt über die sozialen Medien oder via Mail.
Bis dahin,
Sebastian.
*Italien National Institute of Health
*Johns Hopkins University
*World Health Organisation
*JAMA. DOI:10.1001/jama.2020.4344
**JAMA. DOI:10.1002/jama.2020.4683
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