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Sepsis: Die Tarragona-Strategie
Die Sepsis ist ein tödliches Erkrankungsbild. Circa 162 Patienten sterben in Deutschland täglich an der Sepsis und am septischen Schock und noch immer sucht man hierzulande Möglichkeiten, durch schnelles Handeln dieses Erkrankungsbild frühzeitig zu erkennen und umgehend zu behandeln, um die Überlebenschancen unserer Sepsispatienten zu erhöhen.
Was ist eine Sepsis?
Die Sepsis ist eine lebensbedrohliche Organfehlfunktion, die durch eine (überschießende) Immunreaktion des Körpers als Reaktion auf eine Infektion ausgelöst wird.
Was ist ein septischer Schock?
Der septische Schock ist ein lebensbedrohliches Organversagen mit klassischer Schocksymptomatik, die in diesem Fall als eine therapierefraktäre Hypotonie mit einem MAD <65mmHg sowie einer Erhöhung des Serumlaktats über 2mmol/l definiert ist. Die erhöhte Lebensgefahr resultiert aus einer schlechten Perfusion lebenswichtiger Organe. Diese Minderperfusion entsteht durch die überschießende Immunreaktion des Körpers, welche durch verschiedene pathophysiologische Abläufe begründet ist.
Welche pathophysiologischen Aspekte begründen die lebensgefährliche Organperfusionsstörung?
Im Wesentlichen sind folgende Aspekte für die Perfusionsstörung der Organe verantwortlich:
- Infektion führt zu Immunreaktion mit Ausschüttung verschiedener Mediatoren, die v.a. an Entzündungs- und Gerinnungsaktivierung beteiligt sind
- Diese (überschießende) Immunreaktion führt zu
- Erweiterung der Gefäße (Vasodilatation), was den Blutdruckabfall begünstigt.
- Gefäßleck, wodurch intravasale Flüssigkeit ins Intersitutium gelangt. Dies begünstigt sowohl den Blutdruckabfall als auch eine Ödembildung.
- Aktivierung der Gerinnung mit Gerinnselbildung und Bildung kleiner Thromben (Mikrothromben), die sich in kleinste Gefäße setzen und die Minderperfusion der Organe zusätzlich fördern. Hierdurch kommt es gleichzeitig zu einem unverhältnismäßig hohen Verbrauch an Gerinnungsfaktoren, was wiederum im weiteren Verlauf Blutungen begünstigen kann.
- Septische Kardiomyopathie. Durch die Mediatorenausschüttung kann es zu einer deutlichen Reduktion der Herzkraft kommen, was abermals den Blutdruckabfall begünstigt.
- Endokrine Dysfunktion. Diese Fehlsteuerung betrifft insbesondere die Niebenniere sowie die Schilddrüse mit allen hierzu passenden Konsequenzen und Komplikationen.
Auch, wenn ich dir hier nicht mit allzu tiefer Pathophysiologie die Zusammenhänge verdeutliche, wird schnell klar, dass bereits einzelne Aspekte dieser Immunreaktion bedrohlich sein können. Die Kombination mehrerer pathophysiologischer Abläufe oder gar das Zusammenspiel aller genannten Punkte ergeben rasch ein lebensbedrohliches Erkrankungsbild.
Gibt es auch eine gute Nachricht?
Ja! Unbedingt! Die gute Nachricht ist, dass die Sepsis ein klassisches notfallmedizinisches Erkrankungsbild ist, das durch frühzeitiges Erkennen und rasche Einleitung einer adäquaten Therapie tatsächlich auch die Überlebenswahrscheinlichkeit maßgeblich verbessern kann. Die Krux an der Sache ist es jedoch, die Erkrankung auch tatsächlich frühzeitig zu erkennen, um dann eben schnell die richtigen Maßnahmen einleiten zu können. Heute berichte ich dir weniger darüber, wie du die Sepsis und den septischen Schock erkennen kannst. Vielmehr möchte ich hier heute darauf eingehen, welche Dinge man ab dem Zeitpunkt der Verdachtsdiagnosen tun sollte.
Für die Sepsistherapie gibt es sowohl internationale als auch nationale Leitlinien. In diesen Leitlinien werden Therapiebündel vorgestellt. Hierbei handelt es sich um eine Ansammlung verschiedener diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen, die -in diesem Fall innerhalb der ersten Stunde nach Stellung der Verdachtsdiagnosen- durchgeführt sein sollen.
Hierzu gehören in der Therapie der Sepsis und des septischen Schocks:
- Messung von Laktat
- Abnahme von Blutkulturen
- Beginn einer adäquaten Breitband-Antibiotikatherapie
- Gabe von 30ml/kg Körpergewicht (Ziel-MAD: 65mmHg)
- Frühzeitige Erwägung der Vasopressorentherapie (Mittel der Wahl ist Noradrenalin, Ziel-MAD: 65 mmHg)
- Laktatkontrolle
Auch wenn diese ersten Maßnahmen nicht allzu viel erscheinen, können diese jedoch je nach Setting eine große Herausforderung innerhalb der ersten Stunde darstellen. Wird das Therapiebündel innerhalb der ersten Stunde nach Verdachtsdiagnosen konsequent verfolgt, kann die Sterblichkeit der Patienten im septischen Schock (und früher auch der sog. „Schweren Sepsis“) reduziert werden.
Unter diesen Punkten nimmt die frühzeitige, kalkulierte Therapie mit einem Breitbandantibiotikum aus meiner Sicht einen besonderen Stellenwert ein. Und dies denke ich nicht nur, weil Studienergebnisse eindrücklich darauf hindeuten, sondern auch, weil der gesunde Menschenverstand dies fordert, denn es ist die einzige Maßnahme im Therapiebündel, die einem kurativen Ansatz in der Behandlung dieses tödlichen Erkrankungsbildes entspricht. Dies ist auch der Grund, weshalb ich heute in diesem Blogbeitrag auf genau auf diesen Punkt noch genauer eingehen möchte.
Antibiotika sind ein hohes Gut. Seit ihrer Entdeckung und Weiterentwicklung gehören Antibiotika zu einer der wesentlichen Erfolgsgeschichten in der modernen Medizin. Jedoch sind diese Wunderwaffen durch ständige Veränderungen der Resistenzlagen und zunehmende Resistenzen gefährdet und so wundert es sich, dass alle Mediziner aufgerufen sind, besonders umsichtig mit diesen Antiinfektiva umzugehen, um auch über die nächsten Generationen hinweg in der Lage zu sein, Infektionen effektiv zu behandeln.
Betrachtet man diese Tatsache, lässt sich schnell ein Dilemma erkennen. Einerseits möchte man antibiotikaschonend arbeiten, um Resistenzbildungen durch unnötige Gabe von Antibiotika zu vermeiden und natürlich such kosteneffizient zu arbeiten, andererseits ist man bestrebt, ausgesprochen frühzeitig kalkuliert eine Antibiotikatherapie zu beginnen, um der Sepsis bzw. dem septischen Schock so schnell wie möglich die Stirn zu bieten und dadurch die Überlebenswahrscheinlichkeit zu erhöhen. Und da man die Welt der Antibiotika auch rasch mit einem gefährlichen und auch nicht selten anspruchsvollen Dschungel verwechseln kann, bevorzuge ich -wie so häufig- auch hier die klare Linie und Möglichkeit, durch eindrückliche Aussagen die Initialtherapie der tödlichen Sepsis klarzustellen. Hierbei halte ich die sogenannte Tarragona-Strategie für ausgesprochen hilfreich.
Diese Therapiestrategie wurde erstmals Anfang des 21. Jahrhunderts im Kontext mit der Behandlung von beatmungsassoziierter Lungenentzündungen erwähnt. Im weiteren Verlauf fand eine vereinfachte Ausdrucksweise ihren Weg, die auch unter Berücksichtigung des schonenden Einsatzes von Antibiotika so sehr seine Gültigkeit hat, dass sie sowohl noch immer gelehrt und genutzt wird als auch ….
Die fünf Bestandteile der Tarragona-Strategie sind:
- Look At Your Patient
- Listen To Your Hospital
- Hit Hard and Early
- Get To The Point
- Focus, Focus Focus
Was ist mit den einzelnen Aspekten der Tarragona-Strategie gemeint?
- Look At Your Patient
Ja, im Zweifel soll man sich seinen Patienten ansehen. Hiermit ist gemeint, dass der Patient sowohl gründlich untersucht als auch befragt werden muss. Ziel ist es einerseits, den Fokus, der für die Infektion verantwortlich ist, zu finden und andererseits durch die gründliche Anamnese wichtige Informationen zu erhalten, welche die Chance auf die richtige Auswahl des kalkulierten Antibiotikums erhöhen. So ist es beispielsweise von Bedeutung, ob die Infektion ambulant oder nosokomial (also beispielsweise innerhalb einer Klinik) erworben wurde, da hier unterschiedliche Erreger in ihrer Wahrscheinlichkeit als Auslöser der Infektion in Frage kommen. Zudem spielen unter anderem auch die Reisanamnese, Vorerkrankungen und eine Vorbehandlung mit Antibiotika für die Auswahl des richtigen Wirkstoffs eine wichtige Rolle.
- Listen To Your Hospital
Das beste Antibiotikum hilft nicht, wenn die Erreger bereits effektive Resistenzen gegen den Wirkstoff gebildet haben. Diese Resistenzentwicklung ist lokal, regional und national unterschiedlich. Um sich trotz Kenntnis des Infektfokus und der hiermit verbundenen Erregerwahrscheinlichkeit nicht dennoch für ein falschen Antibiotikum zu entscheiden, weil dieses nunmal mit einer hohen Wahrscheinlichkeit beispielsweise in deiner Region resistent ist, solltest du die nationalen, regionalen und auch lokalen Resistenzen kennen und in deine Überlegungen mit einbinden. Regelmäßig werden Surveillance Reports veröffentlicht; beispielsweise von der ECDC oder auch im Ärzteblatt. Zudem sollte in enger Zusammenarbeit mit den Laboren deiner Klinik sichergestellt sein, dass du auch die ganz speziellen Resistenzsituationen innerhalb deiner Klinik kennst, um somit wirkungsvoll in der Auswahl deine kalkulierten Antibiotikums zu sein.
- Hit Hard and Early
Dieser Teil der Tarragona-Strategie erinnert nicht nur noch einmal daran, dass eine frühzeitige Einleitung der adäquaten Antibiotikatherapie ausgesprochen wichtig ist, sondern sie unterstützt auch den Gedanken, von Beginn an aggressiv mit Breitbandantibiotika die kalkulierte Therapie zu beginnen, um alle möglichen Erreger von Beginn an im Regime zu berücksichtigen. Hierzu kann auch eine Kombinationstherapie mit mindestens zwei Wirkstoffen und Substanzklassen notwendig sein und im Bedarfsfall auch ausdrücklich erwünscht. Durch „Hit Hard and Early“ wird dir ganz klar vor Augen gehalten, dass es unbedingt Ziel sein muss, so früh wie möglich die Anzahl der verantwortlichen Erreger rasch zu reduzieren. Das Erkrankungsbild der Sepsis und insbesondere des septischen Schocks erlauben vor allem auf der Intensivstation häufig keine Fehler, denn es bleibt allzu oft keine Zeit für einen zweiten Versuch.
- Get To The Point
Was nutzt das schönste Antibiotikum, wenn es den Zielort nicht erreichen kann? Dies könnte viele Gründe haben. Unterschiedliche Substanzen erreichen an unterschiedlichen Orten unterschiedliche Wirkspiegel. So gibt es Antibiotika, die besonders gut für die Behandlung von Infektionen in Weichteilen geeignet sind und solche, die beispielsweise für die Therapie einer Lungenentzündung ganz und gar nicht in Frage kommen, weil ihre Wirkung durch den in der Lunge befindlichen Surfactant förmlich aufgehoben wird (Daptomycin). Aber dieser Punkt der Tarragona-Strategie soll nicht nur an die Auswahl des richtigen Wirkstoffes in Abhängigkeit des Fokus erinnern, sondern zudem darauf hinweisen, dass die Wirkspiegel und der Zeitraum der Wirkspiegel dem gewählten Antibiotikum entsprechend sein muss, um tatsächlich eine Reduktion der Erregerlast zu erzielen. Hierbei handelt es sich derzeit aus meiner Sicht um eine der größten Herausforderungen der modernen Intensivmedizin, denn grundsätzlich sind hierfür Messungen der therapeutischen Wirkspiegel (therapeutisches drug monitoring, TDM) nötig, was nur den allerwenigsten Kliniken mit den allerwenigsten Wirkstoffen in Deutschland zur Verfügung steht.
Gründe weshalb die richtige Dosierung hier so eine Herausforderung darstellt, liegen insbesondere bei Intensivpatienten in teilweise massiven Flüssigkeitsverschiebungen aufgrund des septischen Erkrankungsbildes, Eiweißmangel, Nieren- und Leberfunktionsstörungen, häufig der Einsatz von (kontinuierlichen) Nierenersatzverfahren, uvm.
- Focus, Focus, Focus
Dieser Punkt der Tarragona-Strategie soll daran erinnern nicht das Therapieprinzip der fokussierten und ganz gezielten Antibiotikatherapie aus den Augen verlieren. Zwar wird berichtigt in der Tarragona-Strategie zu Beginn ein aggressiver Einstieg durch Breitbandantibiotika gefördert, doch gilt dieses Prinzip nur unter dem unumstößlichen Prinzip, dass sobald wie möglich, die Therapie auf einen möglichst schmalen Wirkstoff angepasst werden muss! Dies impliziert, dass umgehend nach Sicherstellung des Infektfokus und nach Erregernachweis die Anpassung des Antibiotikums zu erfolgen hat. Zudem dient „Focus, Focus, Focus“ im Sinne der „Deeskalation“ auch als Erinnerung, dass Antibiotika nach entsprechender Applikationszeit beendet werden müssen. Unnötig lange Therapiedauern sind zu vermeiden und die Anzahl der Applikationstage auf ein Minimum zu reduzieren, wodurch im Gedamtkontext mit den anderen hier genannten Aspekten Resistenzen vermieden- und die unerwünschten Nebenwirkungen auf ein Minimum reduziert werden sollen. Es fordert nicht selten ein hohes Maß an Disziplin der behandelnden (Intensiv-)Mediziner, den Schritt der Deeskalation, also der Anpassung auf ein weniger breit wirksames Antibiotikum, und der leitliniengerecht frühzeitigen Beendigung zu gehen.
Fazit:
Alles in allem handelt es sich bei der Tarragona-Strategie mit den Punkten
Look At Your Patient, Listen To Your Hospital, Hit Hard and Early, Get To The Point & Focus, Focus, Focus um eine einfache aber doch ausgesprochen wirkungsvolle Strategie, die mit nur 5 Aspekten die wesentlichen Inhalte einer zeitgemäßem Antibiotikatherapie auf Intensivstation für die Behandlung von Patienten in der Sepsis und septischem Schock beinhaltet. Unter Berücksichtigung aller 5 Punkte hat man effektive Schlagsätze, die insbesondere weniger erfahrenen MedizinerInnen als Grundsatz helfen kann, den roten Faden im Dschungel der Antibiotikatherapie nicht zu verlieren.
Wenn du Fragen zu diesem Thema, weitere Anregungen oder Kommentare hast, dann kontaktiere mich doch gerne über die Sozialen Medien oder schreibe mit eine Mail.
Bis dahin,
Sebastian.
Literaturempfehlungen:
https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/079-001.html
https://www.sccm.org/SurvivingSepsisCampaign/Guidelines/Adult-Patients
Intensive Care Med. 2016 Dec;42(12):1980-1989.
Crit Care. 2018 May 13;22(1):128.
Crit Care Med. 2012 May;40(5):1404-9.
Crit Care Resusc. 2009 Dec;11(4):276-81.
Med Klin Intensivmed Notfmed. 2014 Apr;109(3):156-61.
J Antimicrob Chemother. 2008 Feb;61(2):436-41.
Intensive Care Med. 2003 Jun;29(6):876-883.
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