Stell dir vor, es gibt einen medizinischen Notfall, du hast Schmerzen und kein Mensch, der dir helfen kann, kommt. Es gibt keine Notrufnummer, kein Rettungsdienstsystem, kein Geld, um ein solches aufzubauen und du bist und bleibst allein.
Und jetzt stell dir vor, es gibt einen medizinischen Notfall und es kommen -wie hier in Deutschland- Notfallsanitäter:innen innerhalb kürzester Zeit zu dir an den Notfallort. Sie sind gut ausgestattet, haben Notfallmaterial und wohl auch Medikamente dabei. Und sie sind durch eine dreijährige Ausbildung gut vorbereitet, um effektiv vor Ort eine Erstversorgung durchführen zu können. Und was sie nun gegen deine Schmerzen tun ist…..NICHTS.
Und warum tun sie nichts? Weil sie dafür keine gesetzliche Grundlage haben. Weil sie, sobald sie für dich eine Infusionsnadel legen und Schmerzmittel verabreichen, keine rechtliche Sicherheit haben.
Obwohl sie also nur das tun würden, wofür sie ausgebildet worden sind, befänden sie sich -wie man so schön sagt- mit einem Bein im Gefängnis; in einer Art rechtsfreiem Raum.
Das liegt daran, dass sogenannte heilkundliche Maßnahmen, also das, was dir genau jetzt helfen würde, ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten sind. Das Gesetz, das das regelt, gilt seit 1939 und wurde bis heute nicht so angepasst, dass es tatsächlich Rechtssicherheit für Notfallsanitäter:innen bedeutet (Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung [Heilpraktikergesetz], Ausfertigungsdatum 17.02.1939).
Ja, es gibt Ausnahmen. Bezirke, in denen verantwortliche Ärztinnen und Ärzte (Ärztliche Leiter:innen Rettungsdienst) dem Rettungsfachpersonal mit genauen Handlungsempfehlungen auch gewisse Maßnahmen freigeben. Das ist schon mal gar nicht schlecht. Das findet man aber bei weitem nicht in ganz Deutschland ….und ob dein Notfallort nun genau in einem solchen Bezirk liegt, das weiß ich jetzt natürlich auch nicht. Ich drücke dir jedenfalls die Daumen!
Tatsächlich soll es zudem auch Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter geben, die eine Verantwortung auf die selbständige Gabe von Medikamenten gar nicht haben wollen und grundsätzlich lieber versuchen, darauf zu verzichten. Wobei ich sagen muss: Rosinen picken is nich! Wer die Rechte hat, trägt auch die Pflichten…und das mit aller Konsequenz.
Naja, und dann gibt‘s ja noch die Chance, dass Notfallsanitäter:innen außerhalb solcher Bezirke doch gegen den Arztvorbehalt verstoßen und dir eine Nadel legen und Medikamente geben, um deine Schmerzen zu lindern. Wie man es von Männern und Frauen dieses Berufsstandes wohl auch als normaler Mensch erwarten würde.
Dann bewegen sie sich rechtlich allerdings im Bereich des rechtfertigenden Notstandes. Also, eigentlich hat Rettungsfachpersonal dann die Rechtssicherheit eines Laien, der sich in Abwägung der Güter dazu entscheiden muss, ob er etwas für eine Person in einer Notfallsituation tun kann….oder eben nicht.
Nur mit dem Unterschied, dass man wohl Rettungsfachpersonal im Falle einer Unterlassung oder bei Fehlern in den medizinischen Maßnahmen juristisch anders, also härter, belangen wird. Klar. Sie sind ja Fachpersonal.
Zusammengefasst gibt man Rettungsfachpersonal also derzeit nicht ausreichend Rechte, nimmt sie in Notfallsituationen dafür aber ganz schön in die Pflicht, denn nichts zu tun, wäre ja auch irgendwie komisch, oder?
Und was wäre die Lösung? Aus Sicht des Rettungsfachpersonals wäre die Lösung wohl am ehesten eine gesetzliche Teilheilberufserlaubnis. In einer solchen können eindeutige -und nicht nur unscharfe- Rahmen abgesteckt werden, in welchen die maßgeblichen Maßnahmen, die in der dreijährigen Ausbildung erlernt wurden, abgebildet sind und für Notfallsanitäter:innen freigegeben sind. Das heißt nicht, dass dies dazu führen soll, dass Rettungsfachpersonal nun tun und lassen kann, was es will. Es heißt vielmehr, dass im Interesse der Patient:innen und nach adäquater Aufklärung über die geplante Maßnahme das Rettungspersonal genau die Maßnahmen selbstständig durchführen darf, in welchen Sie ausgebildet wurden und die sie beherrschen. Mit allen Rechtssicherheiten für genau diese definierten Maßnahmen, die hier sinnvoll sind. Nicht mehr, nicht weniger.
Tatsächlich gibt es aktuell noch viele Hürden und Diskussionen, persönliche Ansichten und politische Meinungen und auch mein Beitrag ist natürlich alles andere als frei von Wertung. Gleichzeitig befürchte ich, dass vielen in der Bevölkerung gar nicht klar ist, mit welcher rechtlichen Unsicherheit derzeit Kolleg:innen im Rettungsdienst arbeiten müssen und welche Missstände dort derzeit herrschen. Und genau deshalb ist dieser Beitrag heute so wichtig. Denn eine gute (notfall-)medizinische Versorgung geht uns alle an.
Derzeit wir die Novellierung eines Gesetzes diskutiert. Die aktuelle Fassung sieht meines Erachtens keine wirkliche Verbesserung für die Situation vor. Zwar versucht man, durch Umformulierungen dem Rettungsdienst entgegen zu kommen, aber Tatsache ist, dass mit den derzeitig vorgelegten Formulierungen die Situation allenfalls komplizierter, aber keinesfalls besser wird. Denn: von einer Teilheilberufserlaubnis, die einfach mal klipp und klar ausgesprochen (bzw. ausgeschrieben) werden sollte, sind wir hier ganz offensichtlich noch sehr weit entfernt.
Möchtest du also jetzt derzeit in deinem Notfall rechtskonform schmerzlindernde Medikamente, dann musst du im Notfall auf das Eintreffen von Ärztinnen und Ärzten warten. Und das gilt auch für Situationen, in denen ansonsten für die medizinische Versorgung gar kein ärztliches Personal vonnöten wäre. Und das in Zeiten des zunehmenden Ärztemangels und der Tatsache, dass sich das in den nächsten Jahren auch nicht wirklich verbessern wird.
Wie frustrierend das wohl für das ausgebildete Rettungsfachpersonal vor Ort sein muss, dir eigentlich nicht helfen zu dürfen und Dich so zu sehen? Aber es geht ja nicht um Befindlichkeiten.
Naja, zurück zum ursprünglichen Gedanken:
stell dir vor, du erleidest einen medizinischen Notfall, du hast Schmerzen und keiner kommt, der dir helfen kann. Ach, was soll‘s. Sowas wird es in Deutschland ja wohl nicht geben, …oder?
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