Bereits in BLOG 20 bin ich auf dieses Thema eingegangen: Checklisten.
Nur geht es diesmal nicht um Checklisten im Rahmen der produktiven Bürotätigkeit, sondern vielmehr um Checklisten in den Hochrisikobereichen der Intensiv- und Notfallmedizin. Und genau dort machen Checklisten aus meiner Sicht absolut Sinn.
Warum machen Checklisten in der Medizin grundsätzlich Sinn?
Die Intensiv- und Notfallmedizin ist per se ein Hochrisikobereich. Und das ist allen Mitarbeitenden absolut klar. Allerdings kann der Alltag einen dazu verleiten, dass Hochrisikosituationen ein Stück weit als normal akzeptiert werden. Zwar ist eine gewisse Normalität wichtig, um in solch einem Alltag bestehen zu können, doch droht dadurch das Gefühl für Hochrisikosituationen in Vergessenheit zu geraten. Und genau das darf uns eben nicht passieren.
Selbst Profis gegenüber formuliere ich manchmal einen ganz banalen Satz, um durch seine Einfachheit eine Tatsache nochmals ins Gedächtnis zu rufen: „Menschen, die nicht selbständig atmen können, können kränker nicht sein; auch, wenn es für uns Alltag auf der Intensivstation, im OP oder in der Notfallmedizin ist“.
Um der Gefahr einer Verharmlosung entgegenzuwirken, helfen unterschiedliche Mechanismen. Durch gegenseitige Erinnerung kann man sich beispielsweise dabei unterstützten, immer wieder „das Bild gerade zu rücken“. Ein Umsichtiges Miteinander und stets respektvoller Umgang mit unseren Patienten ist aus meiner Sicht ebenfalls ein wichtiges Instrument, um sich die Realität durchweg vor Augen zu halten. Allerdings ist dies kein Garant dafür, dass man im Eifer des Gefechts nicht schnell mal was vergisst. Und das kann nunmal schwerwiegende Folgen haben.
Um Dinge in unserem Alltag, zum Beispiel zu Hause, nicht zu vergessen, schaffen wir Routinen und machen uns Notizen. Und genau so sollten wir auch das Konzept in der Intensiv- und Notfallmedizin verfolgen. Wir etablieren eine alltägliche Routine und haken diese ab. Schritt für Schritt. Punkt für Punkt. Wir nutzen eine Checkliste, die in unseren routinierten Alltag eingebettet ist, uns leitet und begleitet. Immer. Ganz unaufgeregt. Einfach so.
Checklisten können dabei helfen, dass sich wichtige Dinge nicht aufgrund des Alltags in eine gefährliche Routine verlieren und sukzessive inhaltlich abgeschwächt werden. Gleichzeitig können uns Checklisten dabei helfen, Situationen, die außerhalb der Routine passieren, besser abzuarbeiten und nicht vor lauter Stress oder eben auch einfach aus Unkenntnis heraus lebenswichtige Aspekte zu vergessen.
Checklisten in der Intensiv- und Notfallmedizin sowie im OP?
Nicht selten wird aus meiner Sicht der vollkommen richtige -wenn auch mittlerweile langweilige- Vergleich zu einem Cockpit gezogen. Auch dort gibt es einfach viele Dinge gleichzeitig zu beachten, es gibt viele Knöpfe, die gedrückt werden müssen (oder eben auch nicht) und die kleinsten Kleinigkeiten können zur Katastrophe führen. Dort hat sich die alltägliche Verwendung von Checklisten bereits fest im Alltag verankert. Aus welchem Grund soll man also nicht auch regelhaft Checklisten in der Intensiv- und Notfallmedizin anwenden? Richtig! Es gibt keinen Grund, weshalb man dies nicht tun sollte.
Bereits 2009 zeigten Haynes und Kollegen die eindrücklichen Ergebnisse ihrer Studie im New England Journal of Medicine [1]. In dieser Untersuchung konnten sie nachweisen, dass die Etablierung einer Checkliste zur Fehlervermeidung im Ablauf chirurgischer Eingriffe zu einer signifikanten Reduktion der operationsbedingten Sterblichkeit (Letalität) und des Aufkommens komplizierender Erkrankungen (Morbidität) führte. Diese Ergebnisse konnten in anderen Untersuchungen bestätigt werden und begründen vollkommen richtig, weshalb heute Checklisten im OP verbindlich vorgeschrieben sind.
Dass solche Checklisten nicht nur im OP, sondern auch in anderen Hochrisikobereichen sinnvoll und hilfreich sind, wurde ebenfalls in Studien belegt. So konnte beispielsweise nur durch die Etablierung einer Checkliste zur Verbesserung der Hygiene bei intravenösen Zugängen die Kliniksterblichkeit um 10% gesenkt werden [2]. Ist das nicht unglaublich, was ein Stückpapier und die Disziplin, es konsequent zu nutzen, bewirken kann?
Im Übrigen wirst du dich bei der Etablierung solcher Verfahren und Checklisten immer wieder „Superhelden“ der Medizin gegenüberstehen sehen, die Einwände äußern. Diese Superhelden liefern auch immer wieder dieselben „Argumente“:
– „Das haben wir noch nie so gemacht“,
– „Ich brauch eine solche Liste nicht, ich bin Profi“,
– „Ich hab so eine Liste in meinem Kopf“, usw. usw.!
Na? Schon mal gehört??
Hierzu kann ich nur folgendes sagen:
1. Alle machen Fehler und keiner ist hiervor gefeit. Sich vor dieser Tatsache zu verschließen heißt nicht, dass diese Tatsache nicht existiert.
2. Die Menge an Fehlern, die man an seinem eigenen Management wahrnimmt, ist bei weitem nicht ausschließlich das Resultat der tatsächlichen Menge an Fehlern, die wirklich passieren. Nein, nein, nein. Vielmehr ist die selbst erkannte Menge an Fehlern das Resultat an:
a. dem Ausmaß der (gesunden) Selbstwahrnehmung.
b. dem Prozess, Fehler auch als solche anzuerkennen und nicht als „kann doch mal passieren“ zu relativieren.
c. Der Einbindung sachlicher, objektivierender Systeme, die dabei Helfen Fehler zu messen.
Fehler zu machen, ist eigentlich nicht schlimm. Um diesen Satz so stehen zu lassen, müssen aus meiner Sicht allerdings zwei wesentliche Punkte gegeben sein:
1. man hat gewissenhaft alles Erdenkliche getan, um Fehler zu vermeiden.
2. man arbeitet den Fehler auf und zieht eine Konsequenz, die dabei helfen soll, dass derselbe Fehler nie wieder passiert.
Um sicherzustellen, dass man -so wie in Punkt 1 beschrieben- gewissenhaft alles erdenkliche getan und nichts vergessen hat, sind Checklisten einfach ein wesentlicher Grundbaustein.
Was sollten Checklisten aus meiner Sicht beinhalten?
Funktionierende Checklisten sollten mehrere Dinge sicherstellen:
1. Sie müssen jedem klar machen, worum es bei der Abarbeitung geht. Dies kann beispielsweise durch einen unverwechselbaren Titel sichergestellt werden.
2. Sie müssen für den Prozess notwendige Strukturen prüfen. Dies kann durch die einzelnen Punkte gewährleistet werden.
3. Sie müssen die wichtigen Eckpunkte des Prozesses begleiten. Dies wird nicht nur durch die einzelnen Punkte inhaltlich sichergestellt, sondern auch durch die richtige Reihenfolge der einzelnen Unterpunkte unterstützt.
4. Sie sollten einen Plan B aufweisen (oder darauf hinweisen), wenn Plan A nicht funktioniert. Hierbei handelt es sich um einen hohen Anspruch, denn häufig tendiert man hierdurch dazu, dass es „zu kompliziert“ wird. Aber einen Versuch ist es aus meiner Sicht immer wert!
5. Sie sollten dabei unterstützen, den Prozess nicht nur zu checken, sondern auch gegen zu checken, um wenn möglich im 4-Augen-Prinzip die Sicherheit zu erhöhen. Dies kannst du beispielsweise ermöglichen, indem du im Umgang mit Checklisten festlegst, dass einer vorliest und einer die Punkte bestätigt.
Und so haben sich im Laufe der Jahre bei mir viele Checklisten in der Intensiv- und Notfallmedizin etabliert. Und -auch wenn es komisch klingt- bis heute bin ich hiermit eine Art „Kolibri“ und kämpfe für die Sinnhaftigkeit und die Etablierung solcher Listen im Alltag. Aber es wird besser. Stück für Stück. Jahr für Jahr. Monat für Monat.
Ist mit der Einführung einer Checkliste alles gut?
Nein. Ganz sicher nicht. Im Gegenteil. Sicherheit wird nicht durch die Existenz einer Checkliste erhöht. Wenn eine Checkliste einfach da ist, ist halt eine Checkliste da. Mehr nicht.
Um wirklich aus solchen Checklisten eine Wirkung zu erzielen ist es notwendig, diese Listen als festen Bestandteil des Alltages einzubauen und förmlich zu leben. Dies fordert insbesondere zu Beginn ein hohes Maß an Disziplin aller Beteiligten, damit die Liste wirklich in den Prozess Einzug hält. Sicherlich ist hierbei ein Schlüssel, allen Mitarbeitenden von der Sinnhaftigkeit der Liste zu berichten und auch die Nutzung immer und immer wieder positiv zu verstärken. Aber die Mühe lohnt sich.
Checkliste Intensiv-Visite
Ich stelle dir hier und heute (m)eine „Checkliste Intensiv-Visite“ vor. Hierbei handelt es sich um ein Beispiel, welches allen Beteiligten dabei hilft, eine gewisse Struktur zu wahren und jeden Tag die wesentlichen Aspekte der Intensivmedizin nicht aus den Augen zu verlieren. WICHTIG ist hierbei zu beachten, dass diese Liste inhaltlich zwar eine gewisse Basis widerspiegelt, aber KEINESFALLS DEN GESUNDEN MENSCHENVERSTAND ERSETZT. Es darf also dennoch gedacht werden.


Die Checkliste ist so aufgebaut, dass die Medizin -ausgerichtet an Organsystemen- vor der Organisation steht. Dennoch beinhaltete sie organisatorische Belange, weil sie nunmal dazu gehören und nur allzu gern in Vergessenheit geraten.
In jeder Sektion ist es möglich, eine kurze Notiz zu dokumentieren. Zudem ist die Liste so aufgebaut, dass sie in vielerlei Hinsicht auch gleich die gewünschten Standard-Ziele vorgibt und man aufgefordert ist einzutragen, was man für Konsequenzen gezogen hat, wenn diese Ziele zum aktuellen Zeitpunkt nicht erreicht wurden. Hierdurch soll vermieden werden, dass einfach nur ein „Abhaken“ stattfindet, ohne aus den Ergebnissen auch wirklich Konsequenzen zu ziehen.
Die Liste wird jeden Tag für jeden Patienten durchgearbeitet. Alle Aspekte werden eingetragen. Neue Punkte, Fragen o.ä. werden in der Liste ergänzt. Und bei der Mittagsvisite geht das Team gemeinsam -geführt von demjenigen, der die Liste abgearbeitet hat- durch. Punkt für Punkt. Schritt für Schritt. Von oben nach unten. Hierdurch wird ein Standard in der Vorstellung des Patienten gewahrt und dies ist ausgesprochen hilfreich, den Inhalten zu folgen, weil man in der immer gleichen Routine bleibt. Nach der ärztlichen Vorstellung erhält die zuständige Pflegekraft das Wort, ergänzt aus ihrer Sicht wichtige Aspekte und gemeinsam werden die neuen Ziele nach Aufarbeitung der berichteten Inhalte definiert.
Die Checkliste ist angepasst an meine Intensivstation. Sie könnte sicherlich bezüglich des Designs noch ein wenig schöner sein, aber sie hat sich tatsächlich im Alltag mehr als bewährt.
Es macht immer Sinn, solche Listen an die Möglichkeiten und Gegebenheiten des eigenen Umfeldes und die eigenen Bedürfnisse anzupassen. Aus diesem Grunde findest du die Liste als Word-Datei. So kannst du bei Bedarf darin schalten und walten und die Inhalte an die Bedürfnisse deiner Station anpassen, aber bitte, tu dir, den Mitarbeitenden und vor allem den Patienten einen großen Gefallen:
Erstelle eine Checkliste,
integriere sie in den Alltag aller Beteiligten auf Intensivstation und
etabliere hierdurch eine Routine, die allen dabei hilft, noch etwas sicherer zu werden!
Wenn du dich für Checklisten in der Medizin besonders interessierst, möchte ich dir ein tolles Buch ans Herz legen, das einem das grundlegende Verständnis für Sinnhaftigkeit und Art von Checklisten ausgesprochen gut näher bringt:
Checklist Manifesto, Original
Die deutsche Übersetzung:
Das passende Hörbuch:
Wenn du Fragen, Kommentare oder Anmerkungen hast, dann freue ich mich über deinen Kontakt über die sozialen Medien oder gern auch via Mail. Wenn du Interesse an weiteren Checklisten hast, beispielsweise für Intubation, Tracheostomie oder ähnliches, dann lass es mich wissen. Sicherlich könnten hierzu noch weitere Blogbeiträge entstehen.
Bis dahin,
Sebastian.
Literatur:
[1] Haynes AB, Weiser TG, Berry WR, et al.: Safe Surgery Saves Lives Study Group: A surgical safety checklist to reduce morbidity and mortality in a global population. N Engl J Med 2009; 360:491-9
[2] BMJ 2011; 342: d219
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