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Es wird langsam wieder kälter in unseren Breitengraden und das nehme ich gern zum Anlass, mal das im August 2020 erschienene Review von Mydske und Thomassen Review von Mydske und Thomassen zum Thema dieses Blogbeitrags zu machen. Hier wurde die Fragestellung beleuchtet, ob in der präklinischen Notfallmedizin das aktive Erwärmen (AER) nach accidenteller Hypothermie (AH) für unsere PatientInnen gefährlich ist oder nicht.

 

Wieso sollte eine AER gefährlich sein?

Hier werden verschiedene (patho-)physiologische Mechanismen diskutiert. Zumeist geht es hierbei um den sogenannten „AFTERDROP“.

Kommt es zu einem raschen Absinken der Körpertemperatur, entsteht eine signifikante Temperaturdifferenz zwischen Körperkern und Körperperipherie (vorwiegend oberflächliche Körperstrukturen wie Haut und subkutanes Gewebe). Dem 2. thermodynamischen Gesetz folgend, wird nun Wärme aus dem Körperkern in die Körperperipherie strömen, um einen Temperaturausgleich zu erzielen.

Allerdings besteht die physiologische Reaktion des Körpers unter anderem in einer Vasokonstriktion. Hierdurch soll die Durchblutung der Körperperipherie reduziert werden, was zu einer verminderten Abgabe der Blutwärme aus dem Körperstamm an die kalte Körperperipherie zur Folge haben- und der Wärmeverlust reduziert werden soll.

Wird der Patient aus der kalten Umgebung gerettet, kommt es weiterhin zum Bestreben des Körpers, ein Angleichen der Körpertemperatur zwischen Kern und Peripherie zu erwirken. Mit langsam nachlassender Vasokonstriktion wird durch den Blutfluss also die relativ warme Körperkerntemperatur in Richtung der kälteren Körperperipherie strömen, wodurch ein signifikanter Abfall der Körperkerntemperatur resultieren kann. Dies wird als Afterdrop bezeichnet.

Derzeitige Diskussionen über die Gefährlichkeit der AER postulieren, dass aufgrund der hierdurch rascheren Erwärmung der Körperperipherie der Prozess des Afterdrops beschleunigt wird. Durch die externe Wärmezufuhr wird die bestehende Vasokonstriktion rascher aufgehoben, der Blutfluss in Richtung Körperperipherie gesteigert und ein rascherer Austausch bzw. Angleich der Temperaturen zwischen Kern und Peripherie ermöglicht. Dies würde schlicht bedeuten, dass der Körperkern schneller seine Körpertemperatur an die Peripherie verliert, wodurch der signifikante Termperaturabfall im Körperkern in seiner Geschwindigkeit und Temperaturtiefe vermeintlich gefährlich forciert würde.

Um der Frage nach diesem Effekt und der Gefährlichkeit einer AER evidenzbasiert auf den Grund zu gehen, führten die genannten Autoren eine Literaturrecherche durch und kamen zu einer spannenden Zusammenfassung.

 

Methode:

Aus 5 Literaturdatenbanken suchten die Autoren mit unterschiedlichen, nicht feststehenden Begriffen nach Artikeln, die sich mit accidenteller Hypothermie und der aktiven Erwärmung beschäftigten. Ausgeschlossen wurden solche Publikationen, die sich mit therapeutischer Hypothermie und invasiven Erwärmungstechniken beschäftigten. Zudem wurden Studien am Tiermodel ausgeschlossen.

Hierzu die Originaldarstellung aus dem Paper:

 

Ergebnis:

Nach Recherche und Selektion stieß man schließlich auf insgesamt 8 Artikel, die im Review genauer ausgewertet wurden. Insgesamt schien die Qualität der Studien schwach. Publizierte Kohortenuntersuchungen erweisen sich als zu wenig detailliert, um tatsächlich Rückschlüsse auf die Gefahren einer aktiven externen Erwärmung ziehen zu können, obgleich genau diese Untersuchungen häufig in anderen Artikeln als Literaturnachweis dienen, um die Aussage über eine gewisse Gefährlichkeit der aktiven externen Erwärmung zu untermauern. Case-Reports erwiesen sich als methodisch schwach und auch in guten Darstellungen konnte nicht nachvollzogen werden, ob Komplikationen im Behandlungsverlauf tatsächlich auf die AER zurückzuführen waren oder nicht.

 

Diskussion:

Die Datenlage scheint insgesamt nicht nur schwach, sondern auch ausgesprochen veraltete zu sein. Es fehlen eindeutige Studien mit konkreter Fragestellung und adäquatem Design. Die Case-Reports beschreiben zwar teilweise dramatische Komplikationen einschließlich massiver kardiovaskulärer Komplikationen bis hin zu einem Herz-Kreislauf-Stillstand, doch fehlt tatsächlich der kausale Nachweis zur durchgeführten AER. Die Autoren postulieren in ihrem Review, dass Komplikationen am ehesten auf die Durchführung ihr AER zurückzuführen sei, wenn eben solche Komplikationen auch in einem engen zeitlichen Zusammenhang zum Beginn der Erwärmung stünde. Zudem werde mittlerweile insbesondere innerklinisch das Konzept der AER in den vergangenen 30 Jahren sicher und routiniert angewendet und als sichere Maßnahme mehrfach publiziert worden.

Abschließend wird festgehalten, dass dieses Review aufgrund der geringen Evidenz nicht beurteilen könne, ob es sich bei der AER um eine sichere Methode handelt oder nicht. Allerdings fehle auch eine wissenschaftliche Grundlage mit akzeptabler Qualität, um davon ausgehen zu können, dass der präklinische Einsatz der AER nach AH für den Patienten gefährlich sei.

 

Mein Fazit:

Es ist, wie es ist. Viele Themen in der Notfallmedizin sind weiterhin mit Meinungen behaftet, die auf pathophysiologischen Gedanken beruhen und sich sicherlich auch auf einzelnen Erfahrungen oder publizierten Case-Reports stützen. Schaut man jedoch genauer hin, fehlt jegliche Evidenz, die wir mittlerweile in so vielen Teilen unseres Berufs berechtigt fordern. Auch in diesem Beispiel haben wir es wieder einmal mit einem Themenfeld zu tun, in welchem ganz sicher noch viel getan werden muss, um evidenzbasiert eine gewisse Handlungssicherheit zu haben.

In solchen Fällen macht es aus meiner Sicht Sinn, sich auf bewährte Konzepte unseres Fachgebiets zu beschränken. Hierzu gehört unter anderem die Frage, ob die aktuelle Situation des Patienten tatsächlich ein aktives Eingreifen, beispielsweise durch AER benötigt oder nicht. Es geht nicht um reine Zahlenkosemtik, sondern daruma bzuschätzen, ob ein zusätzliches medizinisches Eingreifen für den Patienten wirklich lebensrettend ist oder nicht. Sehe ich hier in der Einzelfallsituation keine wirkliche Notwendigkeit, berufe mich gern auf ein Gesetz, das immer ein kleines Stück weit Gültigkeit behalten wird: DO NOT FURTHER HARM.

Wie sind deine Erfahrungen zu diesem Thema? Gern kannst du mich mit deinen Kommentaren oder Anmerkungen über die Sozialen Medien oder einfach via Mail erreichen.

Bis dahin,

Sebastian