Heute möchte ich auf eine kleine aber wie ich finde wichtige Frage hinweisen, die mir in der Notfallmedizin immer dabei geholfen hat, Maß und Ziel in der Versorgung meiner Patient:innen zu wahren und daran zu denken, Gesamtkonzepte in der Patientenversorgung zu verfolgen und nicht einfach im zeitlichen Rahmen einer Stunde oder bis zur Entlassung aus meiner Notaufnahme zu denken.
Die „Überraschungsfrage“ mit dem Wortlaut „Wären Sie überrascht, wenn dieser Patient in den nächsten 12 Monaten stirbt?“ stützt sich nur auf den klinischen Gesamteindruck des Arztes, um die (6- oder) 12-Monats-Mortalität bei Patienten mit lebensbegrenzenden Erkrankungen vorherzusagen. Diese Frage hat eine Sensitivität von 21-84 % und eine Spezifität von 51-94 % gezeigt und eignet sich möglicherweise besonders gut für die Vorhersage der Mortalität in der unter Zeitdruck stehenden Notaufnahme. In Notaufnahmen scheint sie eine bessere kurzfristige (ein Monat) als langfristige (ein Jahr) Vorhersagekraft für den Tod von Patienten zu haben, die in die Notaufnahme eingeliefert werden.

Natürlich darf die positive Antwort auf diese Surprise Question nicht als alleiniger Grund verwendet werden, um ein palliatives Management einzuleiten oder das Therapieziel zu ändern. Vielmehr handelt es sich um einen Mosaikstein, der als Teil des großen Ganzen seinen Beitrag leistet, ein Gesamtbild zu erhalten, das einen Sinn ergibt. Ich mag die Surprise Question sehr, denn sie kann insbesondere im hektischen Alltag der Notfallmedizin ein Stein des Anstoßes sein, um kurz inne zu halten und sich über die Gesamtsituation unserer Patienten klar zu werden. Genau aus diesem Grund konfrontiere ich insbesondere auch junge Kollegen mit der Frage und leite somit die Gedanken für ein gemeinsames Gesamtkonzept in der Versorgung für unsere Patienten ein.
Was sind deine Gedanken zur „Surprise Question“? Hast du bereits eine alternative Vorgehensweise oder wäre diese Frage auch etwas für dich, um kurz innezuhalten und das große Ganze zu sehen? Ich freue mich auf deine Anmerkungen hier in den Kommentaren.

Bis dahin,
Sebastian

 

Literature:
Int J Environ Res Public Health 2022, 19, 1709.
JAMA Network Open. (2019);2(9):e1911139.
Journal of Palliative Care 2019. doi: 10.1177/0825859719866698